Öffentlichkeitspolitik beginnt mit Erfahrung: Geteilte Räume, digitale Verantwortung und die Kraft des Zuhörens

Für unsere Veranstaltung am 17. Juli 2025 im Publix haben wir die These gewagt, dass es ein neues Politikfeld braucht: Öffentlichkeitspolitik. Eine Politik für die resiliente Informationsgesellschaft – strategisch gedacht und praktisch gestaltet. Für eine Öffentlichkeit, die gemeinwohlorientiert ist. Für eine Demokratie, die echte Partizipation ermöglicht. Für eine Gesellschaft, die informationskompetent und widerstandsfähig wird. Darüber diskutierte Lukas Harlan (betterplace lab) mit Eva Flecken (Medienanstalt Berlin-Brandenburg), Erik Tuchtfeld (D64 - Zentrum für digitalen Fortschritt; MPIL), Hanna Gleiß (Das NETTZ) und Alexander Sängerlaub (futur eins; Autor des im Rahmen der Allianz veröffentlichten Papiers „Auf dem Weg in die resiliente Informationsgesellschaft: Grundstein einer holistischen Öffentlichkeitspolitik”).

Erfahrungen als demokratisches Fundament
In ihrer Intervention zu Beginn brachte es Kristina Krömer auf den Punkt: „Vielen Dank für Ihre Meinung – jetzt Ihre Erfahrung!“ Das ist der Satz, mit dem sie im Rahmen ihres Projekts metro_polis u.a. in der Dresdner Straßenbahn mit Fahrgästen zu kontroversen Themen ins Gespräch geht. Hinter dieser Einladung steckt auch ein Paradigmenwechsel. Gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehe nicht nur durch abstrakte Meinungen und Werte, sondern durch das Teilen und Verhandeln gelebter Wirklichkeiten. Narrative verankern sich nur dann, wenn sie auf reale Erfahrungen treffen. Solche funktionierenden geteilten öffentlichen Räume sind essenziell für demokratisches Handeln und Politik hat die Rolle sie zu fördern.

Öffentlichkeit als Lagerfeuer – oder als verlorener Ort?
Alexander Sängerlaub brachte in seinem Eingangsstatement das Bild des Lagerfeuers ins Spiel, als öffentlichen Ort für Austausch und Aushandlung. Heute wird dieses Lagerfeuer bedroht: von Informationsflut, Einsamkeit und fragmentierten Plattformen. Für die Allianz sieht er darin eine zentrale Herausforderung: Wir müssen Öffentlichkeit neu denken – als politisch gestaltbaren Raum. Das bedeutet: Plattformregulierung ja – aber auch Investitionen in Bildung, Journalismus und digitale sowie analoge Begegnungsräume. Hanna Gleiß betonte dabei die Rolle von interdisziplinärem und transsektoralen Austausch vor Ort als auch auf internationaler Ebene, um gute Lösungen für die Gesellschaft zu entwickeln – hier bräuchte es deutlich mehr Ressourcen, die vonseiten der Politik zur Verfügung gestellt werden sollten.

Regulierung ist kein Ersatz für politisches Gestalten
Die Diskussion um den Digital Services Act (DSA) zeigte: Viele Erwartungen an Regulierung sind überhöht. So ordnete Eva Flecken auch die Rolle der Medienanstalt Berlin-Brandenburg ein: Es gebe viele Notwendigkeiten, regulierend in den Medienbetrieb einzugreifen; zugleich verfügen die Medienanstalten aber nur über ein begrenztes Set an Instrumenten und müssen sehr kleinteilig über den Inhalt vorgehen. Eine Handhabe, um etwa die Verbreitung von manipulativem Content zu regulieren, gebe es nicht. Das Rundfunkrecht enthalte dazu weitergehende Regeln als für Print- und Online-Medien, obwohl gerade bei letzteren die Kriterien Aktualität, Suggestivkraft und Breitenwirksamkeit auch gegeben sind. Erik Tuchtfeld warnte in diesem Zusammenhang: Plattformen allein zu verbieten, greift zu kurz. Was fehlt, ist ein klarer politischer Wille zur Gestaltung: Interoperabilität statt Lock-in-Effekte, Finanzierung statt Spardruck und Verbindlichkeit statt symbolischer Gesetze.

Öffentlichkeitspolitik als komplexes Feld
Im Laufe der Diskussion – und auch im Gespräch mit dem Publikum – wurde deutlich: Öffentlichkeitspolitik ist vielschichtig und komplex. Dazu gehört u.a. Medienbildung als ein Grundrecht, die Stärkung von Lokaljournalismus als demokratischem Infrastrukturgut, eine Förderung von neuen, gemeinnützigen Plattform, die Zugehörigkeit stärken statt spalten, Demokratieformate, die Erfahrungen ermöglichen, nicht nur Meinungen sammeln und eine ausreichende Finanzierung durch digitale Besteuerung für gemeinwohlorientierte Angebote. Klar ist: Es braucht mehr als nur Regulierung. Es braucht Erfahrung, Begegnung und den politischen Mut, demokratische Räume neu zu denken. Die Allianz für die resiliente Informationsgesellschaft will als zivilgesellschaftliches Bündnis dazu auch weiterhin einen Beitrag leisten, indem sie selbst Diskussions- und Austauschräume öffnet – wie an diesem regnerischen Juliabend in Berlin – und wissensbasierte Orientierung für Politik schafft.
Text: Josefa Kny
Fotos: Karolina Granja